Mittwoch, 30. April 2008

Keine falsche Höflichkeit!

Höflichkeit in allen Ehren - aber muss man sich als immerhin BGH wirklich so sehr zurücknehmen? Gegen die Literatur-Meinung zum Tatbestandsmerkmal "versetzen" (§ 221 I Nr. 1 StGB) wendet sich der BGH mit folgenden Worten:
"Dem würde der Senat nicht folgen wollen."
"Wenn nicht was der Fall wäre?", ist man geneigt zu fragen. Doch da kommt nichts. Der Senat folgt nicht, basta. Warum drückt er sich so hypothetisch aus? Der hier verwendete Konjunktiv II ist nicht der typische Irrealis, er drückt nicht etwas Irreales aus. Dieser Konjunktiv dient allein der Höflichkeit. Es ist der Tonfall unter Gleichgestellten, eine Formulierung unter Streitenden der Bildungselite.

Darf ich auch so in meinem Gutachten schreiben?

Nein! Denn der Gutachter steht eben nicht auf gleicher Höhe mit den widerstreitenden Auffassungen in der Rechtswissenschaft. Er steht zwar auch nicht notwendigerweise darunter - so hierarchisch fasst man das Verhältnis zwischen Bürger und Staat nicht mehr auf und auch die meisten Rechtsgelehrten erwarten keine derartige Unterwürfigkeit. Aber der Gutachter steht als objektiver Betrachter eines Sachverhalts außerhalb, gleichsam neben den streitenden Parteien. Er muss zwar in seinem Gutachten Stellung nehmen und Streite entscheiden. Aber er wird dadurch nicht zur Partei des Rechtsstreits. Professorale bzw. höchstgerichtliche Höflichkeiten sind daher nicht angebracht, denn als Gutachter nehmt ihr nicht Teil am Gespräch.

In einem Aufsatz sähe das natürlich anders aus - sähe! Und das ist nun wirklich der Irrealis.

Nochmals: Konjunktiv II soweit möglich vermeiden!
Merksatz: Höflichkeit ist eine Zier, im Gutachten geht's ohne ihr!

(vgl. BGH, Urteil vom 5.3.2008 - 2 StR 626/07
via IWW Institut für Wirtschaftspublizistik)

Zum Konjunktiv siehe meine Übersicht (PDF).

Keine Kommentare: