Donnerstag, 19. Juni 2008

Der bestückte Schiedsrichter

Die UEFA deutscht. Nun ist es nicht fair, sich über sprachliche Schnitzer von Ausländern lustig zu machen. In diesem Fall war jedoch vermutlich nicht mangelnde Deutschkenntnis bei der UEFA, sondern erneut der Drang zum bürokratischen Schwulst Ursprung des Übels.
Der Anlass: Löw muss draußen bleiben, auch im Viertelfinale. Der DFB hat eine Begründung der UEFA erhalten und auszugsweise auf seiner Website veröffentlicht. Dort heißt es zu Löws schlechtem Benehmen beim Spiel Deutschland gegen Österreich:

"Dieses bestand darin, dass der fehlbare Trainer in Richtung seines österreichischen Kollegen beziehungsweise des Vierten Offiziellen schrie. Die Intensität dieses Verhaltens war offensichtlich derart, dass der mit der Erfahrung aus zahlreichen Spielen einer europäischen Profiliga bestückte Schiedsrichter keinen Augenblick zögerte, Joachim Löw aus der technischen Zone zu verweisen."


Spiegelonline zitiert nun seinerseits dieses Zitat unter Berufung auf den DFB. Der mit Erfahrung "bestückte Schiedsrichter" ist nun (18.6., 23:16) allerdings der mit Erfahrung "verstückte Schiedsrichter". Dieses Versatzstück lässt ein Stück weit stocken - geht aber wohl nur auf einen Abtippfehler zurück. Vielleicht ein freudsches "verrückt", nur halb unterdrückt.
Bei der FAZ unterschlägt man derlei Blüten gnädig: Dort ist der Schiedsrichter schlicht der "ausgestattete Schiedsrichter".

Zurück zum Original: Mit Erfahrung bestückt? Flugzeuge bestückt man mit Waffen. Zigarettenautomaten mit, nun, Lungentorpedos. "Stück" hieß ja im 16.-18. Jahrundert mal "Kanone", weiß der etymologische Duden. Die Erfahrung als Waffe?
Dass Löw ein "fehlbarer Trainer" ist, unterscheidet ihn hierzulande nur vom Unfehlbaren - in der Schweiz ist mit dem Wort aber auch "schuldig" gemeint. Geschenkt!
Fraglich bleibt jedoch, wann die "Intensität" eines Verhaltens "derart" ist. Also wie man sich besonders intensiv verhält. Diese Formulierung hat wohl allenfalls Potenzial für Elternabende ("Nein, ihr Kind ist nicht verhaltensauffällig, es ist nur verhaltensintensiv.").

Was spricht dagegen, deutlich zu schreiben? Beispielsweise so:

"Löw schrie in Richtung des anderen Trainers beziehungsweise des Schiedsrichters. Der Schiedsrichter hat in zahlreichen Spielen einer europäischen Profiliga Erfahrung gesammelt und zögerte nicht, Löw aus der technischen Zone zu verweisen."


Klingt blöd? Weil es blöd ist, vorher konnte man es bloß nicht erkennen. Welche Rolle die Erfahrung des Schiedsrichters hier spielt, weiß kein Mensch. Erfahren oder nicht, der Offizielle hat Löw rausgeworfen, das ist bekannt. Gemeint war sicher, dass der Schiedsrichter Löw aus der technischen Zone (aus Sicht der UEFA) verweisen durfte, weil er so erfahren ist. Dass dies zu Recht geschah. Konsequenz der Erfahrung ist also nicht, dass Löw verwiesen wurde, sondern ein Werturteil der UEFA. So deutlich möchte sie das wohl nicht sagen.
Das unschöne "beziehungsweise" kann übrigens "und" oder "oder" heißen - das ist ungenau, aber liegt damit auf der Linie des gesamten Textes. Denn das "und" lässt sich kaum nachweisen - hat Löw denn auch den Schiedsrichter angeschrien? Mit einem "oder" würde die Argumentation der UEFA ziemlich wackelig aussehen.

Wo der Schwulst herkommt

Der Grund für diesen Schwulst könnte Eile gewesen sein. Ich vermute dahinter jedoch erneut dasselbe Gehabe, mit dem auch Behörden ihren Worten gern den Klang des Unnah- und daher Unfehlbaren verleihen. Ähnlich klingen interessanterweise Briefe an Behörden, wenn sie von Querulanten verfasst werden.
Der Effekt tritt in Argumentationen aller Art immer dann auf, wenn sie auf tönernen Füßen steht. Das gilt auch für Klausuren und Hausarbeiten, Kommentare und Gerichtsurteile. Man möchte sich auf die eigene Funktion reduzieren, um Verantwortung zu vermeiden. Nicht der Mensch schreibt hier, sondern nur das Organ.

A
ber dann klingt es eben auch wie ausgeschieden.

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